07/04/2025 0 Kommentare
Wahrheit und aufrichtige Liebe
Wahrheit und aufrichtige Liebe
# Impulse

Wahrheit und aufrichtige Liebe
Gedanken zu Johannes 18,28 - 19,5
1
Da stehen sie. In einem eher düsteren Hofeingang, in den ein Strahl der Sonne hineinfällt. Pontius Pilatus steht mit dem Rücken zu uns; Jesus, verschattet und wohl auch gefesselt, schaut etwas scheu zu Boden. Beide haben, vor allem im Johannesevangelium, ein längeres, etwas verwickeltes Gespräch miteinander, in dem sie offenbar aneinander vorbeireden. Unter König und Reich verstehen beide jeweils etwas anderes. Nur ein Wort bewegt beide in ähnlicher Weise: das Wort Wahrheit. Jesus hatte gerade gesagt, dass die Wahrheit immer die Stimme Jesu als Stimme des Gottessohns erkennt – da fragt Pilatus zurück: Was ist Wahrheit?
Ich wüsste gerne, wie Pilatus das gefragt hat: In großem Interesse? Oder eher wegwerfend und verächtlich? Wir kriegen das nicht mehr heraus. Ich vermute aber, dass Pilatus eher nebenbei und ohne Interesse gesagt hat: Was ist schon Wahrheit – so, als wisse jeder, dass man die Wahrheit kaum erkennen kann.
2
Der russische Maler Nikolai Nikolajewitsch Ge (1831–1894) war adlig und Enkel eines eingewanderten Franzosen. Nach Studien der Malerei in Kiew, St. Petersburg und Italien bezog er einen Gutshof in der Ukraine. Als guter Freund des russischen Schriftstellers Leo Tolstoi teilte er dessen Lehren von einem einfachen Landleben, übte sich in Bescheidenheit und malte vorzugsweise Bilder mit biblischen Motiven. Auch mit diesen Bildern fand er – nach anfänglichem Zögern der Fachwelt – Anerkennung. Zu seinen letzten Bildern zählt dieses Bild mit der Pilatusfrage: Was ist Wahrheit?
Nur der Evangelist Johannes weiß von dem kurzen Dialog zwischen Jesus und Pilatus. Das Gespräch ist bedeutend. Der Machtmensch Pilatus und der Geistmensch Jesus sprechen das Wort Wahrheit an. Wie schade, dass wir sie nicht antworten hören.
3
Jesus deutet aber an, dass er in der Welt die Wahrheit bezeugen will (Vers 37). Also weiß er, was Wahrheit ist. Vermutlich würde er sagen: Gott ist Wahrheit. Oder: Was von Gott kommt, ist wahr. Dann ist auch Jesus wahr. Wahr ist, was in Liebe geschieht, in aufrichtiger Liebe. So könnte man das Leben Jesu beschreiben. Das bedeutet noch nicht, dass man sich nicht auch irren kann. Aber eine aufrichtige Liebe lügt nicht, verbiegt nicht die Wahrheit, macht sich nichts vor und täuscht anderen nichts vor. Weil Gott Liebe ist, ist Liebe wahr. So könnte Jesus denken; so hat Jesus gelebt und gehandelt. Und so stirbt er auch.
Er wehrt sich nicht, um die Liebe nicht zu verraten.
4
Nach dem Gespräch Jesu mit Pilatus wird es ernst. Pilatus, römischer Statthalter und des Jüdischen unkundig, findet keine Schuld an Jesus. Das immerhin ahnt er. Und sucht einen Ausweg. Er bietet an, Jesus freizulassen – oder eben Barabbas. Womit Pilatus wohl nicht gerechnet hatte: es wird nach Barabbas verlangt. Volkes Stimme hört und empfindet die Wahrheit nicht, die in Jesus liegt. Volkes Stimme verlangt nach Kraft und Stärke. Wie so oft. Leise Liebenden wird selten aufmerksam zugehört.
Dann nimmt die Tragödie ihren Lauf. Noch einmal muss Pilatus zu sich sagen: Ich bin unschuldig, wasche sogar meine Hände in Unschuld (Mt 27,24). Etwas arbeitet wohl in ihm. Er fürchtet, einen Fehler gemacht zu haben, und muss der Welt seine angebliche Unschuld zeigen. Dabei fehlt ihm in Wahrheit der Mut. Für die Wahrheit war er zu feige. Dabei hätte er nichts zu befürchten gehabt. Er war die Macht.
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Wenn Pilatus geahnt hatte, dass er einen Fehler macht, fehlte es ihm an Rückgrat. Der vermeintlich leichtere Weg war nicht der leichtere. Er sah nur so aus. Am Ende der ganzen Auseinandersetzung wissen wir, dass Jesus, die leise Macht, der lauten Macht des Pilatus gegenüberstand. Und dass Pilatus scheinbar gewinnt. Scheinbar.
In Wahrheit gewinnt die leise, aufrichtige Liebe. In Wahrheit gewinnt immer die Wahrheit – auch wenn es oft lange dauert. Gott lässt sich nicht verspotten, nicht hinters Licht führen. Wir sollten es gar nicht erst versuchen.
Besser leben wir in aufrichtiger Liebe. Sie gewinnt. Wenn Gott Wahrheit ist, wie Jesus sagt, sollten wir der Wahrheit dienen. In aufrichtiger Liebe. Dann warten auf uns Gottes offene Arme.
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